Blütezeit?!
Inhalt
Schon mal wahrgenommen? Über 140 Rosen wachsen auf dem Campus Weißenhof und bilden zusammen ein Kunstwerk: die soziale Plastik „Blütezeit?!“ von Enno Lehmann, die er seit über 10 Jahren auf dem Campus angelegt hat und fortlaufend betreut. Sie duften, ranken, spenden Schatten, blühen in vielen verschiedenen Farben und bilden eine lebendige Umgebung, die uns alle dazu einlädt, sie zu genießen. Sie lebt aber auch von der Interaktion mit der Umgebung und kann von allen mitgestaltet werden – also von Studierenden, Lehrenden, Mitarbeitenden aus allen Fachgruppen – und vielen weiteren Akteurinnen und Akteuren im öffentlichen Raum, die ihre jeweiligen Perspektiven auf das Kunstwerk mitbringen.
Aber was passiert mit den Rosen, wenn Enno Lehmann bald nicht mehr da ist, um sie zu pflegen?
Dieser Frage gehen wir seit dem Sommersemester 2023 in einem interdisziplinären Projekt nach. Das gemeinsame, fachgruppenübergreifende Nachdenken zu möglichen Zukunftsperspektiven ist dabei bereits ein erster, wichtiger Beitrag zur Erhaltung des Werkes, und bildet die Grundlage für die Entwicklung einer langfristigen Erhaltungsstrategie.
Das Projekt möchte außerdem einen Beitrag zum Für- und Miteinander an der ABK Stuttgart leisten, indem es den Campus – im Sinn des Werkes – als zentralen Ort der Begegnung, fachübergreifender Interaktionen und Zusammenarbeit begreift, bestehende studentische Initiativen unterstützt und zum weiteren Engagement für eine bedarfsgerechte (Mit-)Gestaltung dieses öffentlichen Ortes ermutigen möchte.
Erste Schritte: MA Modul in der Restaurierung im SoSe 2023
Im ersten Seminar stand zunächst – wie in der Konservierung/Restaurierung üblich – die Erfassung und die Dokumentation des Werkes im Vordergrund. Der Kurs führte die Studierenden zunächst in die theoretischen Grundlagen von Entscheidungsfindungen und Dokumentationstechniken in der Konservierung-Restaurierung zeitgenössischer Kunst ein. Dazu gehören u.a. das Kennenlernen unterschiedlicher Entscheidungsfindungsmodelle, der Methode des Künstlerinterviews sowie schriftliche, fotografische und filmische Dokumentationsmöglichkeiten und Archivierungsmöglichkeiten der unterschiedlichen Daten.
Dann wurden diese theoretischen Überlegungen auch in die Praxis umgesetzt: In einem ersten Schritt haben wir grundlegende Informationen zum Werk zusammengetragen – die Kartierung der Rosen-Standorte, ihre fotografische und schriftliche Dokumentation sowie ein Künstlerinterview mit Enno Lehmann legten die Datenbasis für weitere Überlegungen zu einer möglichen Erhaltungsstrategie.
Dabei wurde deutlich, dass das Werk einerseits aus den Rosen und ihrer räumlichen Anordnung besteht, die den Campus mitgestalten und bereichern. Andererseits möchte es aber auch zur Interaktion einladen – als Ermutigung für alle Nutzer*innen des Ortes, ihn in ihrem Sinn mitzugestalten. Um das Werk zu erhalten, müssen also sowohl die materielle Ebene – die Rosen – als auch die zugrundeliegenden Überlegungen berücksichtigt werden. Seine Wahrnehmung als Kunstwerk durch die Nutzer*innen und das Wissen über diese Hintergründe ist dabei eine zentrale Voraussetzung für seine langfristige Erhaltung. Aus diesem Grund sind die Vermittlung des Werkes und der Austausch mit den Nutzer*innen wichtige erste Schritte für eine ganzheitliche Erhaltungsstrategie.
Beteiligte Lehrende: Prof. Wibke Neugebauer, LBA Jonathan Debik, Enno Lehmann, Kamilla Odegard.
Interdisziplinäre Woche im Dezember 2023
Im darauffolgenden Wintersemester haben wir uns aus den Perspektiven der Restaurierung (Prof. Wibke Neugebauer, LBA Jonathan Debik) und Stadtplanung (Prof. Fabienne Hoelzel), des Künstlers und der Studierenden mit der Frage beschäftigt, ob und wie das Werk und der öffentliche Raum, in dem es sich befindet, durch die Nutzer*innen derzeit wahrgenommen werden und wie beide sich zukünftig weiterentwickeln könnten.
Eine erste Nutzer*innenumfrage (Bedürfnisanalyse), die sich mit der Wahrnehmung des Werkes auf dem Campus befasste, ergab, dass das Werk als subtile Bereicherung des Campus wahrgenommen wird, dass er durch seine sonstige Gestaltung aber derzeit viele Bedürfnisse noch nicht ausreichend erfüllt, beispielsweise nach schattigen Sitzplätzen im Sommer, Ruhe- und Pausenräumen sowie Arbeitsplätzen im Freien. Außerdem war im Seminar die praktische Frage zu lösen, ob und wie ein Teil des Kunstwerkes, der 2024 dem Neubau des IBA Besucherzentrums und der geplanten neuen Feuerwehrzufahrt auf den Campus weichen muss, im Sinn des Werkes an einen neuen Ort „umgesiedelt“ werden kann. Dafür wurde ein Konzept entwickelt, das im Sommersemester 2024 mit Projektmitteln der ABK Stuttgart erfolgreich umgesetzt werden konnte.
Beteiligte Lehrende: Prof. Wibke Neugebauer, LBA Jonathan Debik, Prof. Fabienne Hoelzel, Enno Lehmann.
Rosen-Umzug und Rundgang im Sommersemester 2024
Als Ergebnis der ersten beiden Lehrveranstaltungen entstand die Idee, den notwendigen Umzug eines Teils der Rosen im Sommersemester 2024 dazu nutzen, die Nutzer*innen zu einem Austausch über das Werk und seine mögliche Weiterentwicklung anzuregen. Auf der zentralen Asphaltfläche vor dem KWR/FLAG Pavillon ist so eine „Ausgleichsfläche“ zum verlorenen Garten vor dem Altbau entstanden, an der die umzusiedelnden Rosen zusammen mit schattigen Sitzgelegenheiten allen Nutzer*innen des Campus einen neuen, zentralen Raum zum gemeinsamen Nachdenken darüber anbieten, wie sie den Campus nutzen möchten und welche Rolle das Werk „Blütezeit?!“ dabei spielt und zukünftig spielen könnte.
In Zusammenarbeit mit dem Färbergarten der ABK, der Mensa und Studierenden wurden Färbermaterialien gesammelt, um in einem Färbe-Workshop die neuen Sonnensegel mit Naturfarbstoffen zu färben – Birken- und Brennnesselblätter, Avocadoschalen und -kerne, Zwiebelschalen und Krappwurzeln wurden verarbeitet.
Beteiligte Lehrende: Prof. Dr. Wibke Neugebauer, Enno Lehmann, LBA Daniela Schöpflin.
Beyond nature mit Saskia Fischer
Ein weiteres geplantes / beantragtes Seminar von Saskia Fischer (LBA, Weißenhof Programm) mit dem Thema „Beyond Nature – Gärten und lebendige Kunstwerke“ möchte das Werk „Blütezeit?!“ außerdem in Bezug zu anderen lebendigen Werken im Stuttgarter Stadtraum setzen und zum Rundgang im Juli performative Interventionen entwickeln, die sich aus künstlerischer Perspektive mit der spekulativen Zukunft des Werkes befassen.